Dostojewskij und wir

Vom Leben Dostojewskijs über die russische Religionsphilosophie bis zur Arbeit an der eigenen Seele: Klaus Hugler zog bei der hauseigenen Veranstaltung des Erzählverlags am 6. Mai 2022 einen großen Bogen und zeigte sich als profunder Kenner der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Für den Verlag war es die erste Hausveranstaltung nach zwei Jahren. 

Als im Jahr 2020 der Verlag Klaus Huglers Dostojewskij-Brevier veröffentlichte - "Einen Monat mit Dostojewskij. Seine Gedanken Tag für Tag" - war noch nicht abzusehen, wie brisant das  kleine Büchlein einmal werden würde. "Dostojewskij zum Selberdenken", so bewarben wir das inhaltlich und in der Aufmachung ansehnliche Buch. Wir verbanden damit, zumal im Jahr des 200. Geburtstags dieses russischen Großschriftstellers, eine Wiederbelebung der Auseinandersetzung mit seinen literarischen Lebensthemen und wollten eine Musealisierung seiner Romane und Erzählungen etwas entgegensetzen. "Wenn wir anhand des  Breviers und seinen uns darin gestellten Fragen Dostojewskijs Themen neu denken, halten wir gleichzeitig sein Werk lebendig", führte Verleger Peter Amsler eingangs ins Thema ein. 

Klaus Hugler zeigte, dass Leben und Werk Dostojewskijs schwerlich voneinander zu trennen sind, dass die sich in den großen Romanen und Briefen durchziehenden Themen vielmehr auch biografisch begründet sind.

 

Selbstachtung und Rachelosigkeit

 

Der Kampf um die Selbstachtung der Menschenseele durchzieht sich laut Hugler durch sein Werk. "Mit dem Verlust der Selbstachtung geht der Verlust des Sinn des Lebens einher", so der Potsdamer Autor und Publizist. In dem "rachelosen Menschen" sieht Hugler Dostojewskjis Ideal-Mensch oder, in Anlehnung an den russischen Religionsphilosophen Wladimir Solowjeff, den Gott-Mensch, im Gegensatz zum grenzüberschreitenden Mensch-Gott, der als Protagonist im Romanwerk Dostojewskijs ebenfalls vielfach seine Spuren zieht.  

Das Ringen um den Sinn des Lebens kommt, so Hugler, in den inneren Konflikten der Roman-Protagonisten zum Ausdruck. Sie scheuen nicht vor einer schonungslosen Betrachtung ihres Ichs zurück und sind damit weit davon entfernt, Betrug an sich selbst zu begehen. Erlösung bringt der "unverlierbare Gott", der ein neues Leben ermöglicht. Der "alte" Mensch muss sterben, damit der "neue" auferstehen kann.

Über eine Darstellung seines Lebens und seiner Themen war Hugler damit bei der "Arbeit an der eigenen Seele" angekommen - und unausgesprochen war klar, dass Selbstachtung und Rachelosigkeit hundert Jahre nach Dostojewskij wieder die  Herausforderungen der Menschen sind.    

Foto: Der Erzählverlag