Mit seinen ersten beiden Erzählheften gibt der Erzählverlag ein Hilfsmittel in die Hände der Klassenlehrer, das ihnen die Vorbereitung auf das pädagogische Erzählen erleichtern soll. Neben den einzelnen Erzählstoffen vermittelt die Reihe Erzählhefte auch eine Methode des freien, mündlichen Erzählens. Fragen und Aufgaben führen systematisch durch die Bedeutungsschichten der Erzählstoffe, sodass nach und nach eigene Fragen und innere Bilder aufkommen. Sie sind unerlässlich, um glaubhaft eine Geschichte vortragen zu können - ohne sie zuvor auswendig gelernt zu haben.
Jedes Erzählheft ist so gestaltet, dass Notizen und Markierungen im Text angefertigt werden können. Zahlen am Rande bezeichnen die Minuten, die die Erzählung bei einem durchschnittlichen Erzähltempo andauert. Didaktische Einordnungen und Hintergrundinformationen geben darüber hinaus eine schnelle Übersicht über den Stand der wissenschaftlichen Forschung genauso wie über die Bedeutung des Textes für das Alter der Schülerinnen und Schüler. Eröffnet wird die Reihe Erzählhefte mit zwei Bänden. Für den Heimatkundeunterricht in der 4. Klasse wird in Band 1 die Gründungssage Berlins aufbereitet, während in Band 2 eine Hilfestellung für das Erzählen des Gilgamesch-Epos' im Geschichtsunterricht der 5. Klasse gegeben wird. Beide Erzählhefte erscheinen im DIN A4 Format und im unterrichtspraktischen Ringbuch für 9,90 € im Buchhandel.
Gilgamesch: Der, der die Tiefe sah
Ex oriente lux: In der ersten Geschichtsepoche der 5. Klasse an den Freien Waldorfschulen werden die Alten Kulturen unterrichtet, ehe sich in der zweiten Epoche des Jahres der Blick nach Griechenland wendet. In den folgenden Schuljahren kommt die Geschichte bis zur Neuzeit zeitlich und räumlich Europa und Deutschland immer näher.
Das Gilgamesch-Epos steht zu Beginn dieses Weges von Ost nach West. Es stellt den Übergang vom Mythos zur Geschichte dar und ist eine der ältesten Geschichten, die die Menschheit heute kennt. Sie berührt existenzielle Themen von Leben und Tod, die das bisherige traumhafte Einvernehmen der Menschen mit der Welt und ihrem Schicksal in Frage stellen.
Gilgamesch, der Held, sucht nach Unabhängigkeit von göttlichen Mächten und strebt danach, Protagonist seines eigenen Schicksals zu werden, so wie die Menschen es bereits bei Ackerbau und Viehzucht, Wasserwirtschaft und Staatsgründung lernten - und seitdem ihre Konflikte um Besitz und natürliche Ressourcen austragen.
Betrachten wir die Menschheit in ihrer Gesamtheit als einen einzelnen Menschen, so bezeugt das Gilgamesch-Epos das Ende der ersten Kindheitsjahre. Der Mensch ist aus dem Paradies hinausgeworfen und muss – und will! – sein Schicksal nun selbst tragen. Nicht anders verhält es sich bei den Schülerinnen und Schülern, die in der 5. Klasse in der Mitte ihrer Kindheit stehen! Das macht das Gilgamesch-Epos zu einem kongenialen Erzählstoff für die Lebenssituation vieler Zehn- und Elfjähriger.
Die Gründung Berlins
Ebenfalls an den Freien Waldorfschulen wird in der 4. Klasse das Fach Heimatkunde unterrichtet. Aber auch an den staatlichen Schulen in Berlin und Brandenburg wird im Sachunterricht bis zur 4. Klasse im Themenfeld Erde unter den Fragen „Wo leben wir?“ und „Wie ist es so geworden?“ ein heimatkundlicher Einblick in die ältere Geschichte Berlins gegeben.
Die in diesem Erzählheft wiedergegebene Sage zur Gründung Berlins gehört zu den historischen Sagenstoffen, die außerordentliche Gestalten oder Ereignisse vergangener Zeiten zum Inhalt haben. Die
Stoffe wurden ursprünglich mündlich tradiert und knüpfen an reale Personen und Ereignisse an, verbinden sie aber mit magischen und mythischen Elementen.
So erklärt die Sage die Gründung Berlins im Zuge der mittelalterlichen Ostbesiedlung christlicher Völker aus dem Westen des Heiligen Römischen Reiches - und dies im Spannungsfeld mit vorhandenen
paganen Bevölkerungsgruppen slawischer Heveller. In ihrer ursprünglichen Fassung bildet die Darstellung grausamer Heveller ein wiederkehrendes Narrativ.
Wir bieten demgegenüber die Gründungssage Berlins in zwei Varianten an. Neben der Buchsage aus dem 19. Jahrhundert, von Hellmuth Neumann notiert und dem beschriebenen Narrativ folgend,
stellen wir zusätzlich eine Neuerzählung vor. In dieser variiert die Märchen- und Geschichtenerzählerin Kati Pfau die Sage und erlaubt sich ansprechende Ausschmückungen, grobe
Ergänzungen oder Änderungen en détail, wo immer es ihr eigenes Verständnis und die Bedürfnisse des Publikums erfordern. In ihrer Variante erfolgt die sagenhafte Gründung Berlins nicht aus Trotz
gegen die Slawen und aus Gründen der Territorialeroberung, sondern aus Liebe und Wertschätzung Albrechts des Bären für die slawische Fürstin Bohdana.