Weimar verbindet

Anfang Juni war unsere Autorin Carla Thompkins mit einer Lesung zu Gast in der Albert-Schweitzer-Gedenkstätte in Weimar. In ihrem biografischen Text "Opa, Onkel Hellmut, Castadorrow und ich" hatte sie über ihre Begegnung mit dem Friedensnobelpreisträger geschrieben. Aber auch über die deutsche Klassik ist sie mit Weimar verbunden. Als "Fremde Feder" schreibt sie über ihre Weimar-Reise auf unserem Verlagsblog. 

von Carla Thompkins

 

Weimar verbindet: So empfand ich diesmal meinen Besuch in Weimar. In der Vergangenheit hatte ich als Regierungsberaterin politische Delegationen nach Weimar begleitet, doch diesmal war ich Gast in der Albert-Schweitzer-Gedenk- und Begegnungsstätte am Kegelplatz.

Als Kind war ich in meinem Elternhaus dem Urwaldarzt begegnet, weil mein Onkel Hellmut schon als Jugendlicher Albert Schweitzer in Günsbach besucht hatte und viele Projekte ins Leben rief, um sein großes Vorbild zu unterstützen. Der Friedensnobelpreisträger gab meinem Onkel und mir einen Merksatz mit auf den Lebensweg: »Die meisten Menschen ziehen den Wein zurück, wenn Gott ihnen einschenken will.«

Im Albert-Schweitzer-Haus in Weimar erzählte ich den Gästen von meiner Begegnung mit Onkel Berti – wie ich den Nobelpreisträger nennen durfte. Ich las auch aus meinem Buch vor: »Opa, Onkel Hellmut, Castadarrow und ich – ein Leben mit Verwicklungen«. Das Publikum konnte miterleben, wie aus einem ruhigen und schüchternen Mädchen eine selbstbewusste junge Frau wurde und wie aus der überzeugten Atheistin eine Religionssucherin wurde.

Für mich war Goethe schon als junges Mädchen sehr wichtig. Ich hatte mir von meinem Taschengeld Goethes gesammelte Werke gekauft und suchte Antworten auf meine Lebensfragen, wie zum Beispiel die Frage nach der wahren Liebe. Ich erkannte auch, welche große Bedeutung der Dichterfürst für Albert Schweitzer hatte. Schweitzer bezeichnete Goethe als lächelnden Tröster, der im dumpfen Urwald als großer Verstehender neben dem Arzt stand. Er beschrieb dieses Erlebnis als einen astronomischen Vorgang und bezeichnete sich selbst als armseliges Möndlein vor der gewaltigen Sonnenscheibe Goethes.

Auf der Suche nach einer religiösen Sinngebung entdeckte ich eine ermutigende Aussage des Nobelpreisträgers. Albert Schweitzer schrieb 1953 in einem Brief an die Bahá'í-Gemeinde in Stuttgart: »Diese Religion beschenkt uns mit der höchsten und reinsten Form religiöser Lehre.« Ich fand das sehr ermutigend, mich weiter mit dieser Religion zu beschäftigen und mich mit den Prinzipien der Einheit zu identifizieren, was konkret bedeutet, dass die ganze Menschheit als Einheit zu betrachten ist, bei Erhaltung der kulturellen Mannigfaltigkeit, also der Einheit in der Vielfalt.

Ich erzählte auch, wie es immer wieder passierte, dass viele Menschen diese Botschaft nicht verstanden und gewissermaßen den Wein zurückwiesen. So war ich 1992 eingeladen, vor etwa 50.000 Menschen in der albanischen Stadt Elbasan über die geistigen Prinzipien der Bahá'í-Religion zu sprechen. Alle Menschen auf dem großen Platz klatschten begeistert, als ich über ‚Einheit‘ und den ‚neuen Menschen‘ sprach, Begriffe, die auch im sozialistischen Denken oft verwendet wurden und jetzt eine erweiterte Bedeutung erfuhren. Viele Menschen stellten Fragen über das Leben außerhalb Albaniens, aber kein einziger fragte, ob er bei dem Aufbauwerk der Bahá'í mitmachen könnte. Da musste ich an Albert Schweitzers Mahnung denken: »Die meisten Menschen ziehen den Wein zurück, wenn Gott ihnen Wein einschenken will.« (vgl. dazu die Darstellung in Ein Hund meditiert. Erlebnisse eines Reisehundes über Abschiede und Aufbrüche)

Ich teilte nicht nur einem aufmerksamen Publikum in der Begegnungsstätte am Kegelplatz mit, welchen Einfluss Albert Schweitzer auf mein Leben hatte, sondern auch fünfzig weiteren Zuhörern, die dank der technischen Ausstattung meines Ehemannes zur Buchlesung dazugeschaltet waren. So kamen in der Tat viele Zuhörer zu der Meinung, dass gerade in der heutigen Zeit Weimar die Menschen verbindet. Die gesamten Einnahmen meiner Bücher werde ich der Förderung von Projekten zur Verfügung stellen, die das geistige Werk von Albert Schweitzer unterstützen, – ein weiterer Grund, mich auch an anderen Orten zu einer unterhaltsamen Buchlesung einzuladen.